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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 8.Januar 1936
52.

Addis Abeba, 12. Nov. 1935.

Unser „Baklo“.

Zunächst einmal: „Baklo“ heißt „Maultier“ und bedeutet also, daß es sich hier um eines jener viele und vielseitig benutzten, viel geplagten, wenig gefütterten, noch weniger gepflegten Reit- und Tragtiere handelt, die ohne selbst sich fortzupflanzen, immer wieder neu aus Pferdevater und Eselmutter gezogen werden, während Maulesel umgekehrt von Eselvater und Pferdemutter stammen. Maultiere haben in ihrem Aeußeren, aber auch im Charakter, mehr vom Pferd, Maulesel mehr vom Esel. Während man ein Pferd hier schon für 15 bis 20 Thaler erstehen kann, sind Maultiere im allgemeinen teurer. Ja, es gibt besonders schöne und flotte Exemplare, die Hunderte von Thalern kosten. Das Maultier – Maulesel sind nicht Reittiere – ist hier sowohl für Lastentransporte wie als Reittier viel geeigneter als das Pferd. Es ist härter, genügsamer in jeder Hinsicht, sicherer auf den schwindelnden Gebirgspfaden. Dazu: Auf einem Pferde kann man infolge seiner Aktionen auch nicht entfernt die Strecken zurücklegen wie auf einem Maultier, dessen Paßgang (das heißt gleichzeitige Bewegung der beiden rechten und dann wieder der beiden linken Beine, während das Pferd bekanntlich mit dem rechten Vorderbein zugleich das linke Hinterbein und umgekehrt bewegt) kaum überhaupt ermüdend wirkt, da der Körper des Reiters nicht sich aus dem Sattel hebt und wieder in den Sattel fällt, sondern sanft und stoßfrei geschaukelt wird.
Wie man das Reittier oft – sehr oft! – leider mit bluttriefendem Maule sieht, weil die an sich schon ein Marterwerkzeug darstellende und dem armen Tier fast immer das Maul aufreißende Kandarre sinnlos, hart und roh gehandhabt wird, so sieht man einen entsetzlich hohen Prozentsatz der Tragtiere mit furchtbaren Druckstellen vom Packsattel, der zumeist „Sattel“ gar nicht zu nennen ist, mit Druckstellen, deren Eiter die Flanken des armen Tieres herunterrinnt. Ich berichtete in früherem Aufsatz von dem der Polizei angeschlossenen Tierschutzdienst, den der prächtige Gouverneur der Landeshauptstadt, Blata Takele Hawariat, organisiert hat. Noch ist natürlich recht wenig von der Wirksamkeit dessen zu spüren. Allzusehr fehlt den Ethiopiern, besonders aber den Amharen, überhaupt der „Begriff“ dafür, daß es auch beim Tier sich um Gottes Geschöpfe handelt, die Schmerz und Leiden kaum minder fühlen wie die Menschen selbst, um Geschöpfe, die roh und gemein zu behandeln eine der größten Niedrigkeiten darstellt. Wollte man hier die Behandlung des Tieres durch den Menschen als Barometer nehmen für den moralischen Hoch- oder Tiefstand des Volkes, es wäre trübe bestellt! Auch das Empfinden speziell und wenigstens für das Tier, das ihm Dienste leistet, kennt der Ethiopier und kennt wiederum vor allem der Amhare nicht. In dieser Hinsicht steht es besser um die Galla. Zu helfen in den Fällen entsetzlicher Leiden von Tieren, denen man – gerade Gebrauchstiere betreffend – hier auf Schritt und Tritt begegnet, ist nur ganz selten einmal möglich. Ich möchte keinem Weißen raten, sich einer der nutzlos gewordenen, d.h. also todgeweihten Jammergestalten anzunehmen, die in erbarmungslosem Zustande irgendwo an der Straße herumstehen (wenn sie noch „stehen“ können!), bis sie fallen und über Nacht, womöglich noch im Todeskampf ringend, von Hunden, Schakalen und Hyänen zerfetzt werden.
Und da bin ich bei unserem „Baklo“. Den nämlich sah ich gestern auch so in einer kleinen Gasse stehen, zum Sterben dahin getrieben. Ja, „gesehen“ habe ich ihn nicht zuerst. Ich gewahrte den armen „Diener der Menschheit“ zuerst nämlich am „Geruch“; wirklich, am Geruch!!! Ein entsetzlicher Gestank führte mich an die Stelle, wo er, den Kopf tief geneigt, die Beine zitternd, stand. Ich wußte, was es bedeutet, daß er da so stand. Soll ich die Pistole ziehen und ihm den Gnadenschuß geben? Das, was ich da sah, war allzu entsetzlich; und doch – ich versichere es!!! – es ist wahr und nicht um eine Spur übertrieben: Da ragten aus furchtbar vereitertem Rücken auf beinahe der halben Strecke der gesamten Rückenlinie heraus die… Wirbelknochen!

Ein Teil des Schulterfleisches hing in Fetzen herab vom Rande einer entsetzlichen Wunde. Und in dieser und zwischen den bloßgelegten Wirbelknochen trieben dicke, fette Maden ihr grauenerregendes Spiel, während Schwärme von Fliegen auf der Gesamtfläche sich ergötzten. Also rasch eine Kugel? – „Nein, nein, Herr!“
Mein schwarzer Diener, eine Mohammedaner, warnte mich: „Herr, Euer Hochwohlgeboren werden dafür böse bestraft werden. Der Baklo ist doch fremdes Eigentum.“ Also mitnehmen auf unser Grundstück und sehen, ob da ein Arzt vielleicht noch helfen kann – mit kleiner Nebenabsicht im Hintergrunde? – . „Ja nicht, Herr; der Eigentümer wird erfahren, wohin sein Tier (man denke: das Tier, das er zum Krepieren auf die Straße trieb!) ging. Wird es gefunden, wird er es – dazu ein Draufgeld für die Entziehung! – zurück verlangen. Stirbt es aber, trotz dem Arzt, werden Euer Hochwohlgeboren eine unverschämte Forderung erhalten und tatsächlich eine hohes Geld für das Tier bezahlen müssen.“ Was tun? Mein Entschluß war gefaßt. Helfen – so oder so! – wollte ich dem armen Tier. „Geh hin, Buschura, kaufe du den Baklo für mich. Hier hast du 5 Thaler (4,25 RM.). Dafür wirst du den Baklo aushandeln. Dann werde ich dir noch einen Thaler schenken.“ Und unser Buschura ging, d.h. in Begleitung einer Hilfstruppe von wohl einem halben Dutzend Freunden. Den Besitzer hatte er bald gefunden. Dann aber ging um das armselige Wrack ein feilschen los, das über eine Stunde währte. Und schließlich kam unser guter Buschura, mit sich bzw. hinter sich her ziehend den armen Baklo, in der Hand einen Riesenkaufvertrag schriftlich. Ja, der war wichtiger als der ganze Handel; denn ohne den könnte der bisherige Besitzer täglich erscheinen und mein Eigentumsrecht trotz (natürlich dann abgeleugneter) Bezahlung mir streitig machen. Und alle Aussichten darauf würden bestehen, wenn etwa gar wider Erwarten das Tier noch gesundete und also wieder brauchbar würde.
Da hatten wir nun den guten Baklo, der trübsinnig die langen Ohren hängen ließ und – stank, entsetzlich stank. Da meldete sich als Sachverständiger einer unser Hausdiener, ein langer Galla. Und der erklärte – o Wunder! –, dies Tier sei trotz seines furchtbaren Zustandes noch zu heilen, zu heilen trotz der hängenden Fleischfetzen, die seine Schulterpartie darstellten, zu heilen trotz wer die Knüppelenden aus dem vereiterten Rücken herausragenden Wirbelknochen, und zu heilen schließlich trotz der zwischen diesen Wirbeln ihr „neckisches“ Spiel treibenden Maden. Wär’s ein Pferd, dann nein, aber ein Maultier – ja!
Rasch war das nötige Rüstzeug beschafft: eine Spritze und hypermangansaures Kali. Fein säuberlich wurden zweimal täglich die „vergnüglichen“ Maden zwischen den Wirbelknochen herausgekratzt, und dann wurde die ätzende Flüssigkeit in die gesamte Wundstelle gespritzt, so tief hinein wie möglich. Verständlicherweise behagte diese „kitzliche“ Prozedur weder unserm armen Baklo, noch seinen fetten „Untermietern“. Was aber seit heute doch schon unserm Baklo behagt – zu unserm Erstaunen nicht minder wie zu unserer Freude! – , das ist das wohl kaum bisher ihm bekannte gute Futter, eine Mischung von Gerste und Kleie, als „Nachspeise“ duftendes Heu. Er lohnt es uns, indem er die bisher gesenkten Trauerfahnen seiner Ohren dann und wann aufrichtet und auch irgend etwas wie ein anerkennendes Grunzen von sich gibt, wenn wir uns ihm nähern.
Und wir freuen uns und hoffen und haben vor allem das eine uns zugeschworen: wenn unser Baklo wieder gesund wird, er soll, wenn wir ihn einmal etwa nicht behalten können, nur dahin kommen, wo für uns die Gewißheit besteht, daß er es gut haben wird!
Ja, richtig, und die Uebersetzung des Kaufvertrages, durch den der gute Baklo unser Eigentum geworden ist, lautet:

„Ich, Woisero (Frau) Wulette Jes, habe ein Maultier in der Farbe der Schakela-Seife verkauft. Daß ich es verkauft habe, bezeuge ich durch den Abdruck meines rechten Daumens unten. Ich habe es verkauft an Ato Safu, Ato Birru, Ato Buschura, Ato (Herr) Ilfasso, Ato Fessa Ejalkebot, dieser geschrieben habend. Bürge ist Ato Bayenne.

(Daumenabdruck)                    (Daumenabdruck)

Gez.: Woisero Wulette Jes.      Gez.: Ato Bayenne.“