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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 30.Oktober 1935
31.

Addis Abeba, 30. Sept. 1935.

Wie ist die Landeshauptstadt Ethiopiens verwaltet?

Da – im Bürogebäude der Municipalität – sitzt er mir gegenüber, der Gebieter über den erheblichen Verwaltungsapparat der Landeshauptstadt, der höchste Chef ihrer ca. 6000 Mann starken Polizei (der gegebenenfalls auch der Schutz der Fremden hier obliegt!), darüber hinaus einer der angesehensten vertrauten Berater seines Kaiserlichen Herrn. Aus seinem dunklen Gesicht von reinstem Amharentyp blicken kluge, ernste und doch freundliche Augen mir erwartungsvoll entgegen. Sein Gruß war von natürlicher Höflichkeit. Sein gesamtes Auftreten ist von der bestimmten und gerade dadurch so vertrauenerweckenden Art, die der „Soldat“ am besten einzuschätzen weiß. Blata Takele Wolde Hawariat ist sein den Besuchern Addis Abebas wohlbekannter Name. Blata Takele – vor Antritt seines hochverantwortlichen jetzigen Dienstes Generaldirektor des Landwirtschaftsministeriums, davor des Arbeits- und davor des Innen-Ministeriums – gilt als einer der intelligentesten Beamten Ethiopiens. Vorbildlich ist nebst seinem allgemein bekannten und seinen Untergebenen nicht immer gerade bequemen Fleiß seine moralische Reinheit nach jeder Richtung. Ein bißchen viel, was ich nun von dem Herrn von Addis Abeba wollte; und fast ein wenig verlegen brachte ich hervor, daß ich so ungefähr alles sehen, wissen und möglichst sogar fotografieren wollte, was im Bereich seiner Machtbefugnisse liege. Zu meinem Erstaunen folgte nicht die eigentlich erwartete mehr oder minder höfliche Absage oder doch erhebliche Beschränkung meiner Wünsche. „Ich stehe Ihnen in jeder Richtung vollständig zur Verfügung. Gehen Sie ungestört durch meinen Amtsbereich. Sehen Sie sich an, was auch immer Sie interessiert, und photographieren Sie, was Sie wollen. Ich werde dafür sorgen, daß kein Mensch Sie zu stören wagt“.

Der Polizei-Präsident von Addis Abeba, der Balambaras Abele, hält dem Gouverneur Vortrag
In diesem Augenblick trat der Polizeipräsident der Hauptstadt, der Balambaras Abele, zum Vortrag einer eiligen Angelegenheit ein.
Nach rascher Erledigung dessen fragte der Gouverneur mich, ob mich z.B. das Gebiet des Polizeiwesens interessiere. Wenn ja, so wolle er mir ein ganzes Regiment seiner Schutzpolizei am nächstens Tage schon in seiner Ausbildung vorführen. Natürlich sagte ich mit Freuden zu. Und tatsächlich durfte ich einem großen Exerzieren der Schutzpolizei mit anschließender Parade unter dem Polizeipräsidenten selbst beiwohnen. Und ich muß sagen, daß die gesamte Vorführung in jeder Richtung einen ganz außerordentlichen Eindruck auf mich gemacht hat, in erster Linie aber den, daß ich es da mit einer ohne Frage erstklassig disziplinierten Truppe zu tun hatte, auf die auch im kritischsten Falle unbedingt Verlaß sein würde.
Die Organisation der Stadtverwaltung ist durchaus europäischen Stiles. In vielen Abteilungen stehen den ethiopischen Beamten europäische Berater zur Seite. Die Stadtverwaltung umfaßt folgende Abteilungen, die von dem ihnen übergeordneten Zentarl-Departement (diesem angeschlossen eine juristische Abteilung) kontrolliert werden:

1. Schutz-Polizei, Verkehrs-Polizei und Geheim-Polizei; dazu neuerdings die Abteilung für Tierschutz;
2. Baupolizei und Straßenbauamt;
3. Katasteramt;
4. Stadtgericht, das alle Grundstücksstreitigkeiten regelt. Unterstellt ist dieser Abteilung gleichzeitig die Marktpolizei;
5. Steuer-Abteilung;
6. Eine Spezialabteilung, die alle Verträge – sowohl solche zwischen Ethiopiern wie solche zwischen Ethiopiern und Europäern – registriert, die im Bereich der Hauptstadt geschlossen werden, wie Mietverträge, Eheverträge usw.
7. Straßenreinigung und Feuerlöschwesen. Dieser Organisation stehen neben einer Fiat-Motorspritze zahlreiche Lastkraftwagen zur Verfügung;
8. Das Stadt-Hospital zur Behandlung der Angestellten der Municipalität;
9. Die Stadt-Kasse;

Alle diese Abteilungen durfte ich nicht nur durchwandern, sondern regelrecht und unbeschränkt „durchforsten“. Ich habe mir das nicht entgehen lassen und so tatsächlich Einsicht gewonnen in das gesamte Verwaltungsgefüge von Addis Abeba. Ich bin nicht Verwaltungsfachmann. Ob aber in einer Organisation Ordnung, System und Zweckmäßigkeit herrscht, das zu beurteilen darf ich mir erlauben. Und das Urteil, das ich hier gewonnen habe, geht kurz gefaßt, dahin: Aus Primitivstem heraus hat hier eine energische Hand, hat ein intelligenter Kopf eine Organisation geschaffen, die einen Vergleich mit europäischen Stadtverwaltungen keinesfalls zu scheuen hat.


32.

Addis Abeba, 29. Sept. 1935.

„Maskal“.

„Maskal“ heißt „Kreuz“. Das Maskalfest gilt der religiösen Würdigung des Begriffes vom Kreuz. Es ist einer der höchsten ethiopischen Feiertage. Seine Entstehung geht zurück auf die Zeit des ethiopischen Königs David, der von 1380 – 1409 regierte. König David hatte dem Patriarchen von Jerusalem Hilfe geleistet gegen den Ansturm der Mohammedaner. Als Dank erbat er sich ein Stück vom Kreuz Christi. Das sandte ihm der Patriarch durch eine Sondergesandtschaft. König David holte die Reliquie mit großen Feierlichkeiten ein. Der Tag ihrer Ankunft wurde von der koptischen Kirche Ethiopiens zum Feiertage erhoben. Es ist das heutige Maskal-Fest, das am 28. September feierlichst begangen wurde. Am Tage vor dem eigentlichen Fest pflegt der Kaiser eine Parade seiner regulären wie irregulären Krieger abzunehmen. In friedlichen Zeiten entsandte dazu fast jeder Provinz-Gouverneur eine Kriegerschar von 500 bis 1000 Mann, teils zu Pferde, teils zu Fuß. Diesmal veranlaßte die gespannte Lage den Kaiser , die Teilnahme auswärtiger Heerbanne abzusagen. Es nahmen diesmal nur die in Addis Abeba stationierten Regulären, vor allem die Kaiserliche Garde, die Miliz-Soldaten der Ministerien und die „Wor-terenjotsch“ (d.s. die in Addis Abeba ihre monatliche Dienstzeit als Wächter des Kaiserl. Palais, des Kriegsministeriums und der verschiedenen in Addis Abeba anwesenden hohen „Chefs“ ableistenden Bauern aus dem Landes-Inneren). Teilnehmer waren ferner die Schüler der Sklavenschule und einiger anderer Staatsschulen, schließlich die erste ethiopische „Rote-Kreuz-Kolonne“, deren – wie immer und überall bescheiden im Hintergrunde bleibender! – Organisator der deutsche Chemiker Dr. Ewert ist, die rechte Hand des Handelsministers, der Leiter der Abteilung für öffentliche Gesundheitspflege im Innenministerium, Inhaber außerdem einer ganzen Reihe weiterer Ehrenämter und Vertrauensaufgaben, der Mann schließlich, den kein Deutscher vergebens appelliert, wenn er Rat und Hilfe braucht!
Das Wetter war trostlos. Es goß vom Himmel herab wie aus Eimern. Dazwischen Blitz und Donmner. Nach altem Glauben freilich bedeutet es Glück, wenn zum Maskaltage der Himmel noch einmal seine Schleusen öffnet. Als schließlich eine Pause eintrat im Toben der Elemente, begann die Festlichkeit. Unter Führung des „Abuna“ umschritt in ihren prunkhaften Gewändern die Geistlichkeit dreimal den Maskal-Baum. Es ist nicht eigentlich ein „Baum“, ist vielmehr ein Bündel hochragender Stangen, die oben mit den goldgelben Sternen der Maskalblumen geziert sind. Eine kurze religiöse Würdigung der Bedeutung des Maskal-Festes vor dem Kaiser folgte. Dann reichte der Abuna dem Kaiser das Kreuz zum Kuß.
Und nun verließ, begleitet von dem kleinen Prinzen Makonnen und einigen hohen Hofchargen, in seiner Marschallsuniform, auch der Kaiser seine Zeltloge und umschritt der Sitte gemäß ebenfalls dreimal den Maskalbaum. Dann begann mit dem Vorbeizug zunächst der Irregulären die Parade.
Wilde Reiter sprengten vorbei, meist in den Trachten der ethiopischen Krieger, auf dem Haupte den Kriegerschmuck mit Löwenhaar, buntgestickte Wamse auf dem Körper, über diesen Umhänge aus Löwenfell; am linken Arm den Rundschild aus Büffel- oder Nilpferdhaut, vielfach wundervoll geziert durch Silber- oder Goldbeschlag unter diesem, teilweise mit blauem, rotem oder grünem Sammet überzogen; in der rechten Hand, wild geschwungen, das alte ethiopische Krummschwert oder den Speer. Auch die Großen des Landes lieben es, zu solchen Gelegenheiten sich noch in der alten Tracht zu zeigen, deren Teile oft noch Geschenke und Verleihungen des großen Kaisers Menelik bedeuten. So erschien der Kriegsminister in der schmuckhaften Kriegertracht, auf dem Haupte die schwere goldene „Ras“- (d.i. Fürst!)-Krone, ebenfalls den kostbar in Gold gezierten Schild am linken Arm. Ob zu Fuß, ob beritten, wild schreiend ziehen die Irregulären vorüber.
Aus ihren Scharen brechen die sogenannten „Fokary“ heraus, galoppieren oder springen vor die Loge des Kaisers, der eisern vor sich hinblickt, schwingen wild ihre Speere, Schwerter oder Flinten und rufen mit hoch gellender Stimme ihm zu, daß sie Krieg wollen, daß er sie zu Sieg und Tod führen möge.

Einer der "Fokary" in der altethiop. Krieger-Tracht:
Kopfschmuck m. Löwenhaar, goldgesticktes Wams mit Löwenfell, am linken Arm d. Schild, in rechter Hand d. Schwert

Oft steigert ihre Begeisterung sich soweit, daß die Beamten des Hofes sie mit milder Gewalt zurückdrängen müssen. Doch das genügt auch sofort. Sie „fokern“ ja nur. Sie wollen eben ihren Kaiser sagen, wie treu ergeben sie ihm seien; und das ist ihr Recht! Oft sind es Krieger noch von Adua her, Grau- und Weißköpfe, aber trotz ihres Alters nicht minder entflammt wie die jüngere Generation. Sie sind vorüber wie phantastische Gebilde. Und dann folgt die neue Zeit, der Ernst, die militärische Parade. Unwillkürlich gehen die Gedanken an die Grenzen des Landes im Norden, Osten und Süden. Dort drohen schwerere Wolkenmassen als wir sie hier über unserem Haupte haben. Dort wetterleuchtet es – unheilkündend – aus dem Gewölk. Maskal und Parade heute. Und was wird das „Morgen“ bringen? In der Diplomatenloge sitzt auch der italienische Gesandte, Minister Graf Vinci Cigliucci, sitzt auch der italienische Militärattaché, Oberst Calderini. Was mag hinter ihren Stirnen vorgehen? Die Parade ist vorüber. Eben ziehen die Krankenwagen der Sanitätsformationen vorbei. Ja, ja, den Abschluß bilden immer sie, die Formationen, die dem Dienst an den armen Opfern des Krieges zugewiesen sind.
Und am 28. September das eigentliche Maskalfest, wo nach religiöser Feier die große Gratulationstour beim Kaiser folgt, wo die umfangreichen Speisungen der Garde und der in Addis Abeba anwesenden Irregulären stattfinden, Speisungen, bei denen Tausende ungeheuerliche Mengen rohen Fleisches mit scharfer Würze verzehren, ihren Talla (eine Art bitteren Bieres) dazu trinken, alle Gäste des Kaisers, der diesem Geschmause seiner Getreuen belustigt zuzuschauen pflegt. Angst und bange kann dem Zuschauer werden, wenn er sieht, wie das scharfe Messer von großem Stück Fleisches unmittelbar am Munde einen „mundgerechten“ Streifen von unten nach oben abschneidet. Doch die Besorgnis ist überflüssig. Es geht fabelhaft. Ja, und König dieses Festschmauses ist der, der in einundeinhalb Stunden einen fetten strammen Hammel allein bewältigt. Und das ist keine Fabel; es ist ebenso Tatsache wie, daß es nach jedem Maskalfest in großer Menge schwere Magenverstimmungen – nicht selten mit tödlichem Ausgang – gibt. Ist eben „Maskal“.