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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 26.Oktober 1935
28.

Addis Abeba, 21. Sept. 1935.

Des „Schwarzen Adlers“ jüngster … Gaunerstreich.

Aus Bericht Nr. 8 vom 9.8.35 wissen unsere Leser, welche welterschütternde Bedeutung dem „Schwarzen Adler“ beizumessen ist, dem „Black Eagle“, de facto dem „Nicht“-Colonel Hubert Julian. Jüngst wurde es plötzlich wieder lebendig um Julians dunkle Heldengestalt: Ganz geheimnisvoll – für den „Fachmann“ aber doch ein wenig nach „Nichtgeheimbleibensollen“ riechend – durchlief Addis Abeba die schmerzliche Kunde, der geliebte Schwarze Adler werde, ein wenig prosaischer Weise allerdings zu Pferde, einen „kühnen Flug“ feindwärts antreten, um seine schwarze Heldenbrust dem Gegner darzubieten. Ja, ja; und nun begann ein neckisches Spiel, bei dem zunächst nicht ganz klar schien, ob unser stolzer Adler auf einen Köder der Film-Leute gebissen, oder ob die Film-Leute – umgekehrt – auf des Großen Adlers Köder geschnappt hatten. Kurzum: „Man“ wurde einig. 100 Thaler – was ist das schon für einen Sensationsakt in Verbindung mit dieser weltbekannten Heldenfigur? Also der Exkönig der Lüfte, der künftige Schrecken aller Gegner Ethiopiens, angetan mit glanzvoller Uniform und soviel Gold auf dieser, daß der Feind schon zufolge „Blendung“ von vornherein unterlegen sein wird, in malerischer Pose (seine Hauptkunst) wird nunmehr – „getonfilmt“. Und mit dem unvergleichlichen Pathos hat er von dem Vertrauen seines Kaiserlichen Herrn gesprochen, der ihm zehntausend Mann (er hat seine 250 Männekens der überzeugenden Wucht des Augenblicks gemäß mit 40 multipliziert) anvertraut habe. Er hat weiter davon gesprochen, wie er nunmehr mit seinem Blute und notfalls seinem Leben seine Treue zu seinem Kaiser und zu seinem Vaterlande Ethiopien besiegeln werde. Ohne Frage eine „fabelhafte Sache“!

Und dann – mit einer kleinen Karawane, nur das Nötigste mit sich führend – zog er dahin, Er, der Held, seinem weiteren Heldenschicksal entgegen.
Tief gerührt – ein ganz klein wenig vielleicht auch schon in Voraussicht der epochemachenden Sensation – blieben die Leute vom Kurbelkasten zurück. Und die Moral von der Geschicht? – Man traue selbst dem „Schwarzen Adler“ nicht!

Unser Adler fliegt voran.
Im Hintergrund rechts weint der Filmreporter eine Träne der Rührung nach.
Am nächsten Tage nämlich fand genau die gleiche entzückende kleine Komödie noch einmal statt: Heldendarsteller derselbe, also unser unvergleichlicher „Black Eagles“. Nur die aufnehmende Film-Firma dieses Tages war eine andere, nämlich die Konkurrenz des Unternehmens vom Tage zuvor. Nachdem auf solche Weise der „edle Adler“ sein „Heldentum“ zweimal (und ganz leidlich im Preise!) verkauft hatte, ist er – bis heute wenigstens – tatsächlich aus Addis Abeba verschwunden. Immerhin sei zur Beruhigung um ihn etwa doch noch besorgter Gemüter gesagt: „Black Eagles“ Heldenrolle bleibt einstweilen noch ein gutes Stück Weg vom Feinde fern.

29.

Addis Abeba, 24. Sept. 1935.

Addis Abeba hat ein modernes Gefängnis.

Am 24.9.35 ist es durch den Kaiser eingeweiht worden. Bemerkenswert an diesem Akt war nebenher die Anwesenheit des Italienischen Gesandten sowie des Italienischen Militärattachés und freundlichstes Verhalten insbesondere des ersteren im Umgang mit den ethiopischen Würdenträgern. Also da steht er, der sechszehneckige Eisenbetonbau, in zwei Stockwerken ausgeführt, nach außen hin – abgesehen natürlich vom Toreingang – ohne Türen und Fenster. Was es demnach an diesem Bauwerk zu sehen gibt, das muß von dem betonierten Innenhof aus betrachtet werden. Und da sehen wir denn, daß in Höhe jedes Stockwerkes eine Galerie das Gebäude umläuft. Da sehen wir auch Türen und Fenster, deren Fehlen wir an der Außenfront des Bauwerkes bemerkt hatten. Der weitere Gang durch den Gebäudekomplex zeigt uns, daß wir es hier wirklich mit einer modernen Einrichtung ihrer Art zu tun haben. Bemessen auf etwa 600 männliche und 50 weibliche Gefangene, gedacht übrigens nur für schwerste Verbrecher, meist Todeskandidaten, weist das Gefängnis sowohl Wasserleitung, Aborte mit Wasserspülung, Badeanstalt und eine ganz moderne Entlausungsanstalt (bezogen von der deutschen Firma Leitz) wie andrerseits ein eigenes kleines Lazarett und eigene Apotheke auf. Die Zellen, luftig und trocken, mit hölzernen Pritschen versehen, sind eingerichtet für 4–12 Personen. Der Gefangene erhält zu seiner nummerierten Gefangenenkleidung nach europäischem Muster eine Decke und ein Kopfkissen. Lediglich Todeskandidaten werden mit eiserner Kette an den Füßen kurz gefesselt.
Auch Arbeitsräume für freiwillige Arbeit fehlen nicht. Der Gefangene erhält ein Drittel des Ertrages seiner Arbeit. Ein Leseraum mit kleiner Bibliothek sorgt für geistige Zerstreuungsmöglichkeit. Auf Wunsch erhält der Gefangene auch Unterricht in Lesen und Schreiben. Das Essen wird in eigener Gefängnisküche bereitet.

d. Negus besichtigt d. Gefängnis
Der Gefangene erhält durchschnittlich: früh ½ „Indjera“, d.i. das ethiopische Sauerbrot aus „Teff“ (Poa abessinica), einer Eragrostis-Art; mittag 1 „Indjera“ mit Sauce, diese verdickt durch Erbsen, Linsen, Bohnen, Kohl oder dergl.; abend wieder ½ „Indjera“. Einmal wöchentlich gibt es Fleisch, und zwar etwa 200 Gramm pro Kopf. Zu trinken gibt es in unbeschränkter Menge Wasser.
Der ethiopische Gefangene ist in diesem Gefängnis im Vergleich zu seiner üblichen Lebensweise so ungewohnt gut aufgehoben, daß es zu fürchten steht, daß die Auswirkung dieser Humanität in Hinsicht auf die Hebung der Moral mit einiger Vorsicht abzuwarten sein wird. Die Entwicklung des Baues und nunmehr die Verwaltung untersteht letzten Endes dem Innen-Minister, Dedjasmatsch (d.i. General der Mitte) Gabre Mariam, einem der alten Menelik-Leute. Unermüdlich hat dieser außerordentlich liebenswürdige und fleißige alte Herr an diesem Werk geschafft, ihm zur Seite der allbewanderte deutsche Chemiker Dr. Ewert, bis nunmehr die feierliche Einweihung durch den Kaiser das Werk seiner Bestimmung übergeben hat.

30.

Addis Abeba, 25. Sept. 1935.

„Le petit caporal“.

Da steht er vor uns, der „kleine Corporal“. Heute noch nicht zwei Jahre alt und verständlicherweise noch nicht ganz mächtig seiner Muttersprache, beherrscht er jedwedes der französischen Kommandos der ethiopischen Armee. Kabede Tessama ist sein Name. Sein Vater ist ein kleiner Angestellter des Handels-Ministeriums. Das Ausbilden der Angestellten des Handelsministeriums, in dessen Hofgebäuden seine elterliche Wohnung liegt, durch Korporäle der Kaiserlichen Garde, hatte es dem Kleinen angetan. Gar nicht so lange hatte es gedauert, so hatte der „Knirps“ alle Kommandos weg. Soweit war das ja nun ganz gut. Unserem kleinen Corporal aber genügte das nicht. Also verlieh er sich selbst in Form einer an langer Glasperlenkette über die Schulter gehängten Glocke das Abzeichen gehobener Stellung, nahm einen kleinen Knüppel, versammelte um sich seine um mindestens 10 Jahre älteren Spielkameraden und fing an zu kommandieren. Es dauerte einige Tage, da hatte „le petit carporal“ eine regelrechte „kleine“ Soldateska um bzw. vielmehr „unter“ sich, die er sehr bald Tag um Tag stundenlang drillte und notfalls auch über den rückwärtigen Hof des Handelsministeriums jagte, daß es nur … „so rauchte“!
So haben wir ihn gesehen. Und so haben wir den kleinen Mann im Lichtbild sogar – Tonfilm (Paramount) festgehalten.

Le petit caporal, der noch nicht 2 jährige kleine Kabede Tessana