51.
Addis Abeba, 19. Nov. 1935.
Der „Fokari“.
Ich habe „ihn“ schon wiederholt erwähnt. Ich erinnere z.B. an Bericht Nr. 32 über das Maskal-Fest und Bericht Nr. 35 (Trubel in Addis Abeba).
Und jetzt will ich dem „Fokern“ einmal auf den Grund gehen. Ob bei Paraden und Festumzügen vor dem Kaiser, ob bei Durchzügen der auf dem Wege zu den Fronten die Hauptstadt passierenden Heerhaufen aus den verschiedenen Teilen des Landes, der Fokari fehlt nie. Die Entstehung des Fokerns ist folgende: Genau wie bei den Griechen der Antike, so waren früher bei den Ethiopiern die Heere, die sich bekämpfen wollten, gewissermaßen parademäßig einander gegenüber aufgestellt. Einzelne Führer sprangen vor die Front, höhnten und beschimpften den Gegner, während sie ihre eigene Kraft und Tapferkeit in prahlenden Reden rühmten und den Gegner zu endlichem Kampfe herausforderten. Das ging so von beiden Seiten manchmal stundenlang. Aus diesen „Präludien“ entwickelten sich Einzelkämpfe und aus diesen schließlich die allgemeine Schlacht. Der heutige „Fokari“ ist aus diesen alten Gepflogenheiten ein gebliebener Ueberrest. Bei den eingangs gesagten Gelegenheiten springen oder jagen zu Pferde bzw. Maultier einzelne „Wotader“ (Krieger) aus ihren meist ganz regellosen Haufen heraus, stürzen sich schreiend und mit Speer, Säbel oder Gewehr – selten fehlt am linken Arm der Büffelschild, oft geziert durch gut gearbeitete Beschläge in Messing, Silber oder auch Gold – wild gestikulierend vor den erhöhten Sitz des Kaisers und beginnen ihr Spiel: In der „Pose“ kampfesmutiger Helden, teils knieend, Speer oder Gewehr vor sich senkrecht aufgepflanzt, den Oberkörper zurückgebogen, teils in eigenartigem Hahnenschritt tänzelnd und die Beine setzend, kreischen sie in merkwürdig „gackernden“ Fisteltönen dem Kaiser die höchst komischen Versicherungen ihrer Ergebenheiten entgegen. Wer nicht bescheid weiß, könnte meinen, sie wollen den Kaiser selbst beschimpfen oder gar attackieren. Es ist schon vorgekommen, daß europäische „Greenhorns“ es mit der Angst zu tun bekamen und zum „Gaudium“ der Ethiopier vor den anspringenden oder angaloppierenden Fokari Reißaus nahmen.
Auch das „Fokern“ hat seine „Etikette“. Der Fokari muß ich kurz fassen; sonst drängen ihn die „Agafaris“ (Hofleute) des Kaisers kurzerhand beiseite. Ja, manchmal gibt es dabei auch mehr oder minder „sanfte“ Prügel mit dem langen Stock aus Bambus, der für solche „Festlichkeiten“ schon vorgesehen scheint.
Vielfach sind die Fokaris – übrigens gerade die „feurigsten“ und „natürlichsten“ – alte Grauköpfe und dann meist Kämpfer der alten Adua-Schlacht von 1896.
|
Dann wieder sind es Kämpfer aus den inneren Kriegen des Landes, die in Mengen der Zusammenschweißung des Landes zu seiner heutigen Einheit vorangingen. Sie alle erzählen in ihren Foker-Reden dem Kaiser, welche Heldentaten sie für Ethiopien und für ihn vollbracht haben, und daß sie genau so auch in Zukunft für Kaiser und Vaterland ihre Leben einsetzen wollen. – Jüngere Krieger beteuern, daß es auch ihnen an Mut nicht fehle, daß auch sie ihr Leben für den Kaiser hingeben wollen. Diese Versicherungen haben oft ganz groteske Formen.
"Fokari" durchziehender Heerhaufen vor dem Kaiser
Da fallen in ständig sich steigernder Emphase Reden wie:
„Ich bin der Sohn des roten Reiters, des Drachentöters“ – gemeint ist damit der „Heilige Georg“, Ethiopiens National-Heiliger. – „Ich bin ein Löwentöter; drei Löwen habe ich erlegt. Wie diese Löwen, so werde ich auch Deine Feinde töten. Gib mir nur Gelegenheit für Dich zu sterben. Ich will es ja. Befiehl es mir und ich tue es hier auf der Stelle. Nein, ich bin ja überhaupt schon tot“ … und noch weiter in der Entwicklung seiner Todesgedanken geht ein anderer: „Ich bin tot, tot für Dich, König der Könige; ja, ich … stinke schon!“
Nachdem so der „Gobes“ (d.i. der „Tapfere“) trotz der Kürze seiner Rolle sich heiser gekreischt hat, geht er, von den Agafaris geschoben, grollend unverständliche Schreie ausstoßend, in seinen Haufen zurück und mit diesen davon, um der nächsten Gruppe Platz zu machen.
Der Kaiser sieht und hört all das Spiel im allgemeinen mit unbewegtem – man könnte sagen „teilnahmslosen“ – Gesicht an. Nur selten geht ein leises Lächeln dankend und anerkennend über seine Züge.
Ein Lohn aber winkt dem Fokari, wenn er ein „guter“ Fokari ist: Der Neid seiner minder fokergewandten Kameraden.
|