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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 30.November 1935
42.

Addis Abeba, 31. Oktober 1935.

„Vinci – winsch’i“.

Zunächst eine kurze „Erläuterung“ der Ueberschrift: das erste der beiden Worte ist italienisch und also auszusprechen „Winschi“ (demgemäß genau wie das zweite Wort!) Das zweite Wort ist gut „Weaner“ (Wiener) Dialekt und heißt auf Hochdeutsch: „Wünsch ich“.
Und die Zusammenstellung, die in der Ueberschrift geschehen, betrifft den Kgl. Italienischen Gesandten Graf Vinci, der Italien in Ethiopien vertrat und – nebenher gesagt –nun das Land verlassen hat, nachdem er samt seinem getreuen Militärattaché, Oberst Calderini, in zähem Widerstand gegen jeden Abschubversuch es durchgesetzt hatte, bleiben zu dürfen, bis der letzte seiner Konsularbeamten aus dem Innern des Landes herangekommen war.
Und das Geschichtchen, um das es hier geht, ist folgendes: Graf Vinci war als junger Attaché oder Legationssekretär unter anderem der Kgl. Italienischen Gesandtschaft in Wien zugeteilt. Spät abend in Wien eingetroffen, hatte er im Hotel Unterkunft genommen und sich sofort zur Ruhe begeben. Am nächsten Morgen bringt ihm wunschgemäß das Stubenmädchen den Kaffee auf sein Zimmer. Ein Knixchen der Kleinen: „Guten Morgen winsch’i“. Der Graf blickt die kleine erstaunt an. Woher weiß die wohl meinen Namen? Ja, und so ohne „Herr Graf“ oder wenigstens „Herr“. Ein bißchen sehr vertrauliche Art. Doch die niedliche Kleine schaut so naiv drein, als ob das so sein müßte. Man kann ihr nicht böse sein. Na gut. Das Wiener Frühstück hat ihm wie allen Fremden trefflich geschmeckt. Der junge Graf nimmt Hut und Stock und verläßt sein Zimmer. Draußen der Etagenkellner. Er verbeugt sich devot: „Guten Morgen winsch’i“. Der Graf fährt herum. Ja, Donnerwetter, der kennt mich ja auch. Aber wieder diese merkwürdige Vertraulichkeit in der Anrede, so als ob der Kerl (es war ja nicht die niedliche Kleine!) mit einem kollegial spräche. Ein ganz klein wenig verschnupft setzt der Graf „Vinci“ seinen Weg fort. Der Fahrstuhl. Ein fixer Liftboy reißt die Tür auf: „Guten Morgen winsch’i“. Ja, jetzt wird es dem armen Grafen beinahe zu bunt. Dieser „bambino“ – kennt er ihn schon, gut; aber sogar der wagt es, ihn ganz einfach mit seinem Namen anzureden. Er wird dem Portier seine Meinung sagen!

Der eilt ihm – hinter seinem Tisch und vor dem Schaltbrett mit den vielen Schlüsselhaken herbeistürzend – entgegen, ein wenig befremdet dem eleganten Gast in das erzürnt blickende Gesicht schauend. Ein Portier aber weiß, was sich gehört, und ist zudem in Wien besonders höflich. „Guten Morgen winsch’i“. Da ist der Graf schon in der Drehtür. Doch – o weh! – noch in dieser hört er den eifrigst „drehenden“ Boy ihm zurofen: „Guten Morgen winsch’i“. Nur fort hier, denkt der Graf; das scheint ja ein ganz verrücktes Hotel zu sein. Hin zur nächsten Taxe, um zur Gesandtschaft zu fahren. Höflichst – in Wien sind alle höflich – zieht der Taxenchauffeur seine Mütze: „Guten Morgen der Herr“. Aaaaa – denkt unser Graf – endlich einer, der mich in diesem dreimal verflixten Wien noch nicht kennt; und endlich einer, der weiß, was sich gehört. Doch er hat‘s kaum ausgedacht, da setzt nach einem Blick über das elegante Aeußere seines Fahrgastes der Chauffeur rasch und beinahe schuldbewußt noch ein zweites „Guten Morgen“ hinzu, und das wird abgeschlossen mit „winsch’i“. „Ja, himmelkreuzdonnerwetter“ – explodiert der Graf – „Mensch, woher zum Teufel kennen Sie mich denn überhaupt?“ Doch seine Kenntnisse der deutschen Sprache sind minimal, und so war er in seiner Erregung in seine Muttersprache verfallen. Die versteht aber der Chauffeur nicht. Fassungslos blickt er den wütenden Herrn da vor ihm an. Hm, ein Verrückter? Na, den will er nicht fahren. Er lehnt in unnachahmlichem „Weaner“ Dialekt ab und dreht ihm den Rücken zu. Dem Grafen blieb nichts übrig als der Weg zur nächsten Taxe. Nunmehr ruft er voll vermeintlicher Selbstironie dem braven Alten hinter dem Steuer entgegen: „Guten Morgen, Vinci“. Der aber schaut keineswegs erstaunt drein, erwidert vielmehr höflichst: „Hobe die Aehre, gnä Herr“.
Also der endlich ist sein Mann. Der Graf fährt zur Gesandtschaft. Er fiebert geradezu, bis er dort endlich seine verrückten Erlebnisse berichten und vor allem natürlich erfahren könne, wie es möglich ist, daß schon ganz Wien ihn, den jungen Attaché, kenne.
Ich brauche nicht zu sagen, daß es ein schallendes Gelächter gab, bis einer der Herren sich zu der erwünschten Erklärung aufraffen konnte.
Dem Grafen Vinci aber ist sein „Debut“ in Wien eine Erinnerung für sein Leben geblieben, die er in fröhlicher Stimmung immer einmal wieder gern mit dem ihm eigenen Humor auffrischt.

43.

Addis Abeba, 2. Nov. 1935.

Der ethiopische Soldat.

Eine reguläre Armee besitzt Ethiopien erst seit einigen Jahren. Ihre Kopfstärke kann man heute auf etwa 25 000 Mann veranschlagen. Die Soldaten dieser regulären Armee nennt der Ethiopier „Jemajor Sabanjotsch“, d.h. in wörtlicher Uebersetzung „Wächter des Majors“. Entstanden ist dieser Ausdruck, der übrigens nicht gerade eine Ehren-Bezeichnung darstellt, dadurch, daß der Chef der (belgischen) Militärmission eben ein „Major“ war, und dadurch, daß die reguläre Armee wesentlich zum Wachtdiesnt im Palast des Kaisers sowie zu Eskortediensten herangezogen wurde. Für den Ethiopier ist und bleibt wohl auch einstweilen noch der „eigentliche“ Soldat der „Wotader“ (wörtlich „Soldat“), d.i. der „Irreguläre“, der Gefolgs- und Lehnsmann des Kaisers, der Minister, die großen und schließlich auch kleinen „Chefs“ (Gouverneure, Untergouverneure, höhere Kaiserliche Beamte, höhere Beamte der Provinz-Gouverneure usw.).
Dieser Wotader erhält im allgemeinen überhaupt kein Geld. Er wird von seinem Herrn mit Land belehnt, das er seinerseits – meist gegen Naturalabgaben, selten nur auch gegen kleinere Geldabgaben – an Bauern verpachtet. Seine Waffen und Munition erhält er von seinem Lehnsherrn. Als Gegenleistung hat er Polizei- und Gendarmeriedienst in der Provinz seines Herrn, Märkteüberwachung, Grenzschutz und ähnliches, auch Bewachung privater Liegenschaften, auszuführen, außerdem seinen Herrn auf Reisen zu begleiten. Im allgemeinen ist der Wotader tatsächlich der treue Diener seines Herrn. Kennzeichnend ist, daß er Beteuerungen und Schwüre auf Namen und Leben seines Herrn zu leisten pflegt. Wir haben es bei dem Wotader also mit einer Art „Landsknecht“ bzw. – um in moderner Zeit zu bleiben, wenn man hier auch die Zeit auf Mittelalter zurückdrehen muß, um vieles zu verstehen – „Milizsoldat“ zu tun. Exerzierdrill oder überhaupt irgendwelche militärische Ausbildung gibt es nicht; ja, nicht einmal Schießen wird dem Wotader beigebracht; auch dann noch lange nicht, wenn er mit einer Feuerwaffe ausgestattet ist. Bei festlichen Anlässen „paradiert“ der Wotader in regellosen Haufen vor seinem Chef vorüber. Meist Analphabet, hat dieser Söldling keinerlei Ahnung von Welt- und Tagesereignissen, schon gar nicht von Politik. Völkerbund, Sanktionen usw., das alles ließe sich ihm genau so begreiflich machen wie etwa höhere Mathematik und Astronomie. Das Wort „Tschikona“ (d.i. Sanktionen) hört er jetzt oft. Was das aber ist, ob es etwas zu essen oder zu trinken ist (für den Wotader die richtigsten Begriffe), das weiß er nicht. Er weiß nur, daß Italien sein Erbfeind sein soll, daß es sein Land wieder angegriffen habe. Blind folgt er den Befehlen seiens Herren und zieht auf dessen Ruf ohne Ueberlegung in den Krieg, auch im Bewußtsein dessen, daß es sein Tod sein werde. Todesfurcht kennt der Wotader überhaupt nicht. Aus solcher Einstellung heraus kämpft er naturgemäß mit besinnungslosem Angriffsdrang und ohne Frage nach Verlusten rechts und links. Es gibt wohl eine – aber ganz bescheidene – Organisation dieser irregulären Armee. Anführer der größeren Gruppen, die man etwa unter die Begriffe „Korps“ oder „Division“ fassen könnte, sind die „Dedjasmatsche“ (in wörtlicher Uebersetzung „Generale der Mitte“). Ihnen unterstehen die „Kanjasmatsche“ (Generale des rechten Flügels), die „Fitorari“ (Generale der Vorhut), die „Grasmatsche“ (Generale des linken Flügels) und die niederen Chargen, wie „Balambaras“ (eigentlich Festungskommandant) und ‚Bascha“ (Hauptmann). Man sieht, wie alle diese Bezeichnungen der uralten und für die Ethiopier Milizorganisation noch heute nicht bedeutungslosen Gefechtsorganisation entnommen sind.
Die Subaltern-Chargen – die sogenannten „Schambell“ – kommandieren 10, 50, 100 und – ein Mittelding – 1000 Mann. Sie werden je nachdem „Aßraleka“ (Zehnmannchef), „Amßaaleka“ (Fünfzigmannchef), „Metoaleka“ (Hundertmannchef) und „Schialeka“ (Tausendmannchef) genannt. Alle Offiziere der Milizarmee führen ihre eigenen Waffen und werden von einem persönlichen Gefolge von mehreren Dienern begleitet (auch im Gefecht!), die sie selbst mit Waffen und Munition versorgen müssen. Mit Gepäck ist der Milizsoldat nicht belastet. Seine Kleidung – nicht Uniform, sondern die gewohnte Landestracht – besteht aus Baumwollhose, Baumwollhemd, darüber die „Schama“, eine Art Toga, die der Ethiopier sich nach Art der alten Römer malerisch um die Schultern schlägt. Kopfbedeckung, Tornister, Zeltbahn, Brotbeutel, Stiefel und ähnliche Ausrüstungsstücke moderner Soldaten, die bei solchen selbstverständlich sind, kennt der Wotader nicht. Außer Gewehr nebst Munition (etwa 50 Schuß in seinem schmuckhaften Patronengürtel), Säbel, Dolch oder Speer – dazu vielfach auch noch der alte Schild aus Büffelhaut – führt er nichts mit sich, nicht einmal eine Feldflasche, geschweige denn irgendwelches Sanitätsmaterial, Verbandszeug oder dergleichen.

Wotader-Horden mit der Kriegstrommel
Der Troß eines Dedjasmatsch ist ungeheuer, da jeder Bedarf – Munitionsersatz, Zelte, Lebensmittel usw. – auf Tragtieren mitgeführt werden muß. Die Troßsoldaten sind meist nur mit Speeren, Säbeln und Dolchen bewaffnet. Weiber im Troß mitzuführen ist verpönt, mit Ausnahmen von einigen Sklavinnen, die für die höheren Chargen in primitivster Weise die Speisen zubereiten.
In dieser Form und Gliederung zieht die Miliz –vertreten in dieser alle Altersklassen von etwa 15 bis zu 60 Jahren und noch darüber hinaus! –auch heute aus ihren Provinzen ins Feld, oft Hunderte von Kilometern weit. Die Tagesmärsche sollen mit Rücksicht auf die schwerbelasteten und vor allem auch ganz primitiv beladenen Tragtiere 30 Kilometer durchschnittlich nicht übersteigen. Die Verpflegung wird im Rahmen des Möglichen durch Proviantmagazine sichergestellt, die die Regierung etappenweise anlegen und immer wieder auffüllen läßt.
Freilich besteht diese Verpflegung lediglich aus geröstetem Weizen (Kollo) und gerösteten Kichererbsen (Chimbora). Fleisch kommt im Verpflegungsprogramm kaum einmal vor. Die Eintönigkeit dieser Verpflegung (na, und manchmal fällt sie auch aus oder wird in allzugeringer Ration nur gereicht!) führt verständlicherweise dazu, daß diese „Soldateska“ alles packt, was an Eßbarem zu erreichen ist, vor allem die Felder rechts und links ihres Vormarsches geradezu kahl „frißt“ wie ein Schwarm Heuschrecken!!! Geht es diesen Kerlen gut, so treiben sie unterwegs allerhand „Allotria“, necken die Leute, jagen ihnen Angst und Schrecken ein (so etwas soll gerade hier in der Hauptstadt in recht drastischer Weise allerjüngst einigen Journalisten geschehen sein, die darob zum Gaudium ihrer vermeintlichen Lebensbedroher um ihre Heldenleben gezittert haben) und sind dabei „im allgemeinen“ doch nichts als große und ungezogene Kinder.
Kommt dann ein solcher „Haufe“ in’s Kampfgebiet, so geht der „Fitorari“ mit der Vorhut – gegebenenfalls auch in gelockerter oder Gefechtsordnung, –tatsächlich also so etwas wie „ausgeschwärmt“ – vor. Es folgt auf etwa 2 Kilometer der Haupttrupp unter dem Dedjasmatsch, der je nach Lage in die Vorhut einschwärmt, oder sie rechts bzw. links verlängert, gegebenenfalls auch unter Ausscheiden der Reserve. Ist ein Angriff solcher Formationen einmal angesetzt, so läßt er entsprechend solcher Ordnung und Taktik naturgemäß sich weder umdirigieren noch abstoppen. Der entscheidende Führer selbst ist „mittendrin“ in seiner kämpfenden Schar, hat also bei Beginn des Angriffes seine Truppe vollständig aus der Hand gegeben. Hier gibt es nur noch Zweierlei: Sieg oder – mindestens mehr oder minder – Vernichtung!
Im jetzigen Kriege hat man, wie berichte „sozusagen“ ausgebildete, modern bewaffnete Soldaten der regulären Armee an verschiedenen Frontstellen eingesetzt, Soldaten, die von den Instruktionsoffizieren der belgischen Militärmission oder aber von dem durch diese geschulten Lehrpersonal ausgebildet wurden. Ich wiederhole: Was ich von diesen Soldaten gesehen habe, läßt mich urteilen, daß jene wilden Horden den Italienern gefährlichere Gegner sein werden als die regulären Truppen. Das wäre anders, wenn etwa die „Milizler“ gegen die wirklich modern ausgestatteten Italiener in Tages- und womöglich Tages-Massenangriffen vorgehen würden. Da wären sie kaum anderes als blutige Massenernte eben dieser modernen Kriegstechnik. Sie haben nach ersten bösen Erfahrungen umgelernt, diese braunen und schwarzen Söhne der Bergwildnis.
Gehen schon ihre marschierenden Heerhaufen heute – und zwar schon auf weiteste Entfernungen –nur nachts vor, so greifen die Krieger grundsätzlich nur im Dunkeln der Nacht an und suchen auch da noch, den Frontalangriff zu vermeiden, statt dessen um die Flanke herum in den Rücken des Gegners zu kommen. Ihre Schwäche ist und bleibt aber ihr Hang und Drang zur Zusammenballung, ein Drang, der für diese gänzlich ungeschulten und zu eigenem Handeln natürlich gar nicht fähigen Wilden oder Halbwilden nur selbstverständlich ist. Die „Masse“ ist eines ihrer Stärkemomente. Die „Masse“ ist aber auch ihre große Gefahr; denn für Massen, wie sie die eiserne Notwendigkeit heute in Bewegung setzt, fehlt die Organisation in jeder Hinsicht, gerade aber auch die in Hinsicht Ernährung. Nicht umsonst hat man immer und immer wieder gezögert, die Kriegerhorden in das Kampfgebiet hinein oder mindestens bis dicht an dieses heranzuführen. Man ist sich klar darüber, daß die Gebiete, die den Massen dieser Soldateska Unterkunft geben müssen, in kürzester Zeit bis aufs Blut ausgesogen sein werden. Und dann…?! Soll also die Masse „wirken“ und mit ganzer Wucht wirken, so ist hier dringendstes Gebot raschester und durchgreifender Einsatz nach klar durchdachtem Plan. In dieser Hinsicht entscheidet die Strategie. Die nahe Zukunft wird lehren, ob der Ethiopier in der Lage ist, auf diesem Gebiet mit dem Italiener die Klinge zu kreuzen.
Einer d. Wotader-Führer mit seiner persönl. Begleitung
Man beachte: Gewehr und - Schild!