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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 7. September 1935
VI.

Addis Abeba, 6. August 1935.

Meine Erlebnisse mit der „Bank of Ethiopia“.

Also ich will auf der „Bank of Ethiopia“ – ehemals eine englische Bank, heuie Institut der ethiopischen Regierung, jedoch unter englischer Leitung – mir ein Kontokorrent einrichten. Gewiß eine höchst einfache Angelegenheit; das heißt überall außer eben bei jener Bank. Man stelle sich vor: Ein Herr X kommt auf eine Bank, will bei dieser eine Summe von immerhin einigen dreistelligen Zahlen einzahlen, beileibe nicht etwa auch nur die Andeutung eines Kredites erbitten. Ich bin dessen gewiß, daß da – meinetwegen auch nach einfacher Feststellung der Personalien des neuen Kunden – jede Bank ohne weitere Umstände „zufaßt“. Nicht so die „Bank of Ethiopia“; und das liegt in erster Linie wohl daran, daß sie zurzeit noch sich in einer Monopolstellung fühlt. Da wird mir nicht etwa nur das übliche Antragsformular zur Unterschrift vorgelegt. Nein, ich soll für mich einen „Garanten“ stellen, soll eine Persönlichkeit unterzeichnen lassen, die dem hohen Institut vertrauenswürdig genug erscheint, die Einwandfreiheit eines Mannes zu attestieren, der von der Bank durchaus nichts will, sondern ihr „Verdienst“ zu bringen gekommen ist. Na gut, ein liebenswürdiger Deutscher würde sich gewiß finden. Also zahlen wir mal zwei ägyptische Pfundnoten ein und lassen wir deren eine uns gleich wechseln! Neue Ueberraschung. Nach Rücksprache mit der hohen Direktion erklärt, verlegen lächelnd, der Beamte, das gehe nicht- – „Nanu?“ Ja, da müsse erst einmal die deutsche Gesandtschaft eine Art Beglaubigung ausstellen und an die Bank senden. „Beglaubigung in welcher Richtung?“ – Hm, daß ich derjenige sei, der zu sein ich angäbe. Natürlich war meine Entgegnung sofort die, daß es doch wohl im internationalen Verkehr keine bessere Beglaubigung dieser Art gebe als den … Paß. Dem Beamten – ist die Bank of Ethiopia so ahnungslos? – leuchtete das ein. Also ging er mit meinem Paß wiederum ab zur hohen Direktion. Rückkehr und neues Wunder: Die Bank konnte nicht feststellen, ob die ägyptischen Noten auch noch in Gültigkeit seien! Man schlug mir vor, sie der Bank zu überlassen. Diese werde – selbstverständlich auf meine Kosten – die Noten nach Aegypten senden und – selbstverständlich ebenso auf meine Kosten! – ihre Gültigkeit sich teelgraphisch bestätigen lassen. Zeitdauer mindestens 10 Tage. Im Hin und Her der anschließenden Diskussion fand sich ein zweckmäßiger Ausweg, d.h. „zweckmäßig“ weniger als „lächerlich“. Der oben schon erwähnte gütige „Garant“ solle auf die zwei Banknoten seinen Namen setzen; es würde das als eine Art „Beglaubigung“ angesehen werden. Also nichts war’s mit dem Erfolge einer eineinhalbstündigen Erörterung auf der „Bank of Ethiopia“ an diesem Tage. In Kenntnis der liebenswürdigen Hilfsbereitschaft hiesiger deutscher Landsleute war mein Mut noch nicht auf Gefrierpunkt gesunken, wenn freilich meine Stimmung allmählich auf „heiß“ zeigte.

Tatsächlich war der gütige Helfer in Person eines der angesehensten Kaufleute hier mühelos gefunden. Er kannte seien Pappenheimer und erklärte sich lächelnd zu allem bereit. So unterzeichnete er den bewußten Antrag und schrieb auch fein säuberlich auf jede der zwei Banknoten seinen Namen. Na also! So wenigstens dachte ich an diesem Tage. Doch mit des Geschickes Mächten(vorliegend vertreten durch die Bank of Ethiopia) ist kein ewiger Bund zu flechten. Hoch zu Dreien – ich war doch ein wenig eingeschüchtert – zogen wir am nächsten Vormittage zur Bank. Fertig, nicht wahr? Nein, durchaus nicht. Inzwischen hatte das hohe Institut sich überlegt, daß für den Wechsel „so gewaltiger“ Summen denn doch auch die Unterschrift des angesehen „Garanten“ auf den Noten nicht genüge. Kurzum: In Abänderung de vortägigen Stellungnahme, deren sämtliche Bedingungen inzwischen also von mir erfüllt waren, verlangte man jetzt einen Brief des Herrn Garanten, mit dem dieser sich verpflichten sollte, „gegebenenfalls“ für einen durch Nichtgültigkeit der Banknoten der Bank entstehenden Verlust selbst einzustehen. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich nicht die Unverfrorenheit besaß, mit solchem Ansinnen an einen gütigen Helfer heranzutreten, aber auch nicht die nötige „Demut“, um auf solch‘ Verhalten die gebührende Antwort schuldig zu bleiben. Also – nach Oeffnung des Ueberdruckventils – kam ich zartfühlend auf meinen Antrag auf Eröffnung eines Kontokorrents zu sprechen. Aber auch da waren die „Bedingungen“ noch nicht restlos erfüllt. Man verlangte nunmehr eine „Visitenkarte“ von mir. Das war des Guten denn doch allzuviel. Hatte die Bank nicht am Tage zuvor eine gute Viertelstunde lang meinen Paß eingesehen? War ich etwa gekommen, um einen mehr oder weniger feierlichen „Besuch“ abzustatten? Also ich verneinte, erklärte, daß ich an einem Verkehr mit diesem Institut kein Interesse mehr nähme und verlangte meinen Antrag mit meinem und meines Garanten Unterschrift zurück. Höchst einfach, nicht wahr? Aber nicht auf der „Bank of Ethiopia“. Da nämlich war der Antrag inzwischen „registriert“; das „Registrieren“ also geht ersichtlich schneller dort als die eigentlichen bankmäßigen Aktionen. Und weil der Antrag „registriert“ war, sollte er nur durch einen ebenso schriftlichen Antrag wieder gelöscht werden können, und nur dann war die Möglichkeit des Rückempfanges der zwei Unterschriften möglich. Nun aber fürchtete ich trotz des besagten Ventiles „Explosion“. Darum flüchtete ich lieber unter Zurücklassung von Antrag und Unterschriften, mit denen das Institut glücklich werden möge. – Wieder war es ein gütiger deutscher Helfer, der meiner Not sich annahm. Er führte kich zu einem privaten Fianzierungsinstitut guten Rufes, zur „Societé Nationale d’Ethiopie“, die ich bei dieser Gelegenheit allen Interessenten warm ans Herz legen möchte. Was die „Bank of Ethiopia“ nicht übers Herz, beziehungsweise im Zeitraum von zwei Tagen nicht in den Kreis ihrer Kapazität brachte, bei der „Societé Nationale d’Ethiopie“ war’s im Handumdrehen erledigt, und ich bin auch ohne die Bank of Ethiopia meine Sorge los.

VII.

Addis Abeba, 8. August 1935.

Ethiopische „Versammlungen“

„Auf zum Auatsch!“ rief der eine der beiden sympathischen Vertreter der „Associated Preß“ uns zu. „Auatsch?“ Ja, Auatsch ist die öffentliche Verlesung eines Kaiserlichen Dekrets. Nun es war insofern ein Irrtum, als es diesmal eben nicht ein „Auatsch“ war. Statt dessen aber wohnten wir einer Versammlung bei, die die „Vaterländische Vereinigung“ zu Ehren einiger aus den verschiedensten Himmelsrichtungen des großen Landes gerade hier anwesender Mitglieder zusammengerufen hatte. Die Versammlung fand auf dem Platz statt, in dessen Mitte in prunkvoller Vergoldung das Reiterdenkmal Meneliks sich erhebt. Wir fuhren die kurze Strecke im Kraftwagen. Ja, das ist nun mal so. Hier tut man nur wenige Schritte zu Fuß. Selbst kürzeste Wege legt man entweder im Kraftwagen zurück oder aber zu Pferde oder Maultier. Möglichst soll jeder noch einen oder mehrere „Boys“ in seiner Begleitung haben. Der Ethiopier wird in seiner Geltung und Würde gemessen an der Zahl des vor und neben und hinter ihm – er selbst reitet – einhergehenden und gegebenenfalls „laufenden“ Gefolges, das wieder dann besonders glänzend ist, wenn es, Mündung in der Hand, Kolben über der Schulter, möglichst viel Gewehre, eventl. Auch Säbel, mit sich führt. Nie fehlt zudem der Schirm, übrigens der gleiche als Schutz gegen Regen und gegen Sonne. Da trabt oft eine ganze Heerschar mit einem trabenden, dunklen und vermummten Reitersmann einher. Die seitlichen Begleiter halten sich dabei an Mähne, Sattel und nötigenfalls auch Schweif des Tieres fest. – Auf dem Versammlungsplatz angelangt, wurden wir zunächst vom Chef der Polizei und seiner Mannschaft höflichst empfangen und auf die offene Veranda eines Hauses geführt. Dort saßen die illustren Teilnehmer, hohe Beamte und Vertreter der koptischen und – auch islamischen Geistlichkeit, erstere mit ihren hohen schwarzen Zylinderbaretts und dem silbernen Kreuz an der Kette über der Brust, letztere mit weißem Turban.

Koptische und islamische Geistliche

Der Platz unten war angefüllt von der Masse des Volkes. Auf den ersten Blick mag diese den Ausdruck rassischer Geschlossenheit bieten. Bald aber gewöhnt sich das Auge daran, den Amharen (die Herrscherkaste des Landes) vom Galla, Somali usw. zu unterscheiden. Doch die Einigkeit aller Kasten, Schichten und Stämme, ihre Verbrüderung unter Zurückstellung aller ständischen, völkischen und religiösen Gegensätze – Aufgabe und Ziel jener „Vaterländischen Vereinigung“ – angesichts des drohenden Krieges sollte gerade hier uns vor Augen geführt werden. Reden wurden gehalten, die Menge zur Einigkeit, zur Hingabe an Volk und Vaterland gemahnt. Da standen und sprachen nach einander die offiziellen Mitglieder der Vereinigung, angetan mit militärisch anmutenden Khakiuniformen, aus deren üblicherweise die Beine ganz eng umschließenden und bis auf die Knöchel reichenden Hosen unten die nackten Füße hervorlugen, auf dem schwarzen Haar die Schirmmütze, um deren Rand ein grünes Band mit goldgestickter Inschrift. Einer von ihnen, ein junger, intelligent und lebhaft dreinblickender Amhare, sprach feuersprühend, ohne Konzept, seine Worte mit scharfen Gesten begleitend. Taktmäßiges Händeklatschen der Menge – man könnte sagen „in 3 Salven“ – spendete ihm Beifall. Da unterbricht ihn von links her ein Ruf aus der Masse. Es ist ein Galla, der seinen Ausführungen zustimmt und gleich ihm zu geschlossener Verteidigung des gemeinsamen Vaterlandes aufruft. Und nach einer Weile – gute Regie! – stimmt von rechts her aus der Menge ein Mohamedaner unserem Redner in gleichem Sinne zu. Dann singt ein Kinderchor ein ethiopisches Freiheitslied mit dem Inhalt: „Seien wir einig; so sind wir auch stark. Lieben wir unser Vaterland, so kann uns nichts geschehen!“ Kurze Ansprachen der Geistlichkeit beider Religionen folgen. Da kommt in die Menge auf dem Platz Bewegung. Eine freie Bahn entsteht dicht um das umfriedete Denkmal Meneliks. Rasch ordnet sich ein Zug. Und nun beginnt dieser sich in Marsch, in Trab, in Galopp zu setzen. Flinten, Gewehre, Karabiner aller möglichen Typen und Jahrgänge und krumme Säbel werden geschwungen.

Eine Art „Fantasia“, in der spontane Kriegsbegeisterung der Menge aus allen Schichten und Stämmen sich dokumentieren soll. Zwei Grauköpfe, geschwungene Säbel darüber, fallen in der laufenden und schreienden Menge auf. Es sind Teilnehmer der Adua-Schlacht, deren Erfolg noch heute in den Abessiniern das Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit über den jetzt drohenden Gegner wachhält, den gleichen, der damals blutig geschlagen wurde. Zettel mit dem Text des von dem Kinderchor gesungenen Liedes wurden verteilt. Und dann – gewohnheitsmäßig – laufen die Reden weiter. Das Volk verkrümelt sich nach und nach; und das gewohnte Leben und Treiben greift wieder Platz. Es war am 6. August 1935, als wir wieder zur Teilnahme an einer Versammlung gerufen wurden. Diesmal galt sie der feierlichen Proklamierung der nunmehr offiziell erfolgten Gründung des Roten Kreuzes, dessen Präsidium der ethiopische Außenminister Platen Ghueta Herouy Wolde Selassie übernehmen sollte. Wieder führte der Kraftwagen uns mit viel Schlangenlinien-Marsch, Tier und Gefährt, alle gleich schwerfällig, – ausweichend – über das entsetzliche Pflaster der Stadt. Hier hat ein Straßenbaumeister anscheinend sich in besonders genialer Kunst „ausgetobt“. Er hat kristallartig spitze und scharfkantige Steine so eingebettet, daß gerade eben die Spitzen und Kanten das Erdreich überragen und eine Liliputnachbildung der Dolomiten als Pflasterung ergeben haben – besonders zuträglich für die Bereifungen, für Fußgänger vorzügliche Vorbereitung auf wagehalsige Bergsteigungen. – Und nun halten wir vor dem Hause mit dem Roten Kreuz über dem Eingang. Daneben ein Zelt, in diesem die Versammlung. Das Auge muß sich an das Dämmerlicht unter der rötlichen Zeltdecke gewöhnen. Dann sieht es am Schmalende auf flacher Bühne, die mit Teppichen bedeckt ist, einen thronartigen Stuhl. Auf diesem sitzt die bekannte Gestalt des „Neguse Negest“ (Königs der Könige), als des Herrschers von Ethiopien. Um ihn herum die Großen seiner Umgebung, unter ihnen einerseits der Charakterkopf des Dedjasmatsch (d. i. General der Mitte) Baltscha, eines früheren Widersachers des Kaisers, heute einer seiner nächsten Berater, neben diesem der Minister des Aeußeren; auf der anderen Seite ganz in der Ecke, eine weiß umhüllte Gestalt, deren „Détails“ nur schwer zu erkennen sind. Es ist der „Etschegué“, eine der mächtigsten und einflußreichsten Persönlichkeiten aus der Umgebung des Kaisers. Der Etchegué ist – nächste dem „Abuna“ (d. i. „Unser Vater“) – der höchste koptische Geistliche des Landes. De facto ist er das Haupt der Kirche Ethiopiens. Und das liegt so: Die koptische Kirche in ihrer religiösen Gesamtheit hat ihr Oberhaupt in Aegypten. Es ist der Patriarch, zu vergleichen etwa mit dem Papst der römisch-katholischen Kirche. Dieser schlägt als seine Stellvertreter für Abessinien dem Kaiser den „Abuna“ vor. Nach erteilter Einverständniserklärung reist der Abuna nach Ethiopien ab. Ursprünglich durfte er nach Antritt seiner Stellung in Ethiopien das Land nicht mehr verlassen. Diese scharfe Bestimmung hat der jetzige Kaiser gelockert; und zweimal schon hat der jetzige Abuna, Kyrillos mit Namen, seine ägyptische Heimat besucht. Das Nationalgefühl der Ethiopier aber verlangte außerdem ein national-ethiopisches kirchliches Oberhaupt. So schuf man – offiziell dem Abuna unterstellt – die Position des „Etschegué“. Es hat nicht lange gedauert, so hat dieser ethiopisch-nationale Kirchenfürst sich eine Geltung errungen, die ich faktisch und vor allem politisch bedeutsamer macht als den kirchlich ihm vorgesetzten „Abuna“. – Eine ganze Weile dauerte es, bis die Versammlung offiziell eröffnet wurde. Bis dahin arbeiteten die photographischen Apparate der Journalisten mit und ohne Blitzlicht, ging leises Geplauder hin und her, bellten dann und wann eines der beiden Hündchen (Lulu und Rosa), die – wie offenbar immer – die Füße ihres Kaiserlichen Herrn umspielten. Kaum sich bewegend, die eine Hand auf dem Stock, der Kaiser. Dann wurde Ruhe und Schluß der photographischen Arbeiten geboten. Der Kaiser – mit ihm die Versammlung –erhob sich und verlas mit seiner wohltönenden, ein wenig leisen Stimme das Dekret über die Begründung und Organisation des Roten Kreuzes. Nach Schluß seiner Rede, die anschließend in Französisch verlesen wurde, antwortete, ihm gegenüber Stellung nehmend, dem Kaiser der Minister des Aeußeren als nunmehriger Präsident des Roten Kreuzes von Ethiopien mit Worten des Dankes und einer Darlegung der jahrelang zurückliegenden Arbeit um dieser Organisation, die dank Kaiserlicher Gnade und Tatkraft nunmehr zu erfolgreichem Abschluß gekommen sei. Damit wurde die Versammlung geschlossen. Ein weißes Tuch, hinter dem gedeckt der Kaiser sich zum Aufbruch fertig machte, wurde vor die Bühne gehängt. Wieder dauerte es eine Weile; dann verließ der Negus den Versammlungsort und bestieg, gefolgt von seinen hohen Beamten, seinen Wagen. Wieder arbeiteten die photographischen Apparate. Der Wagen fuhr an. Polizisten jagten, um Ordnung und freie Bahn zu schaffen in dem Tohuwabohu von Menschen, Tieren und Wagen. Mit einiger Mühe fanden in dem Gewirr auch wir unseren Wagen und fuhren davon, unserem deutschen Heim zu.